Erziehung ohne Gewalt - Das geht!

Andere Länder, andere Sitten. So war es, so ist es, so wird es bleiben und das haben wir zu akzeptieren und zu respektieren. Das zumindest wurde allen ICJA-Freiwilligen beim Vorbereitungsseminar letztes Jahr im Juli gesagt. Als Patricia und ich in Tansania angekommen sind, sahen wir auch genau das bestätigt. Vieles hier läuft anders als in Deutschland und das ist auch in Ordnung so. Aber so Manches ist einfach nicht gut und wieso sollte es dann falsch sein, darüber zu reden, oder gar etwas dagegen zu tun?

 

 

 

Zu Beginn unserer Arbeit in Faraja war so Einiges ziemlich anders als es das jetzt ist und das liegt auch an uns. Wenn ein Kind etwas falsch gemacht hat, wurde ihm mit einem Stock auf die Finger gehauen, oder man hat ihm auf den Rücken geschlagen, Dinge nach ihm geworfen und in einem ganz krassen Fall wurden sogar drei unserer Schüler so lange verprügelt, bis sie alle weinend in die Klasse zurück gelaufen kamen. Das mit ansehen zu müssen, brach uns regelrecht das Herz und wir wollten etwas dagegen unternehmen. Wir haben mit vielen Leuten über das Thema Gewalt als Erziehungsmethode gesprochen und bekamen von den Meisten das Gleiche zu hören; dass man es zwar nicht gut fände, aber man selbst sei schließlich auch so erzogen worden, es gehöre einfach zur Kultur und sei schon immer so gewesen. Ich habe dann meist recht provokant erwidert, dass das in Deutschland einst genauso gewesen sei, aber man habe vor Jahrzehnten begonnen, das zu ändern, weil auch Kinder Rechte haben und man die negativen Folgen erkannt hat. Das Totschlagargument meiner Gegenüber war dann immer, dass man tansanische Kinder nicht mit deutschen vergleichen könne und die Kinder hier einfach Gewalt bräuchten, um sich zu benehmen.

Wir wollten die Menschen vom Gegenteil überzeugen. Patricia und ich haben uns mit Kaponda über das Thema unterhalten und ihm erklärt, wie wichtig es uns ist, dass die Kinder in Faraja ein sicheres Umfeld sehen, in dem sie mit Freude und ohne Angst vor Bestrafungen lernen können. Mit ihm als Direktor unseres Projektes haben wir das riesige Glück, jemanden auf unserer Seite zu haben, der ebenfalls gegen Gewalt und bereit dazu ist, uns zu helfen. Er hat mit den Lehrerinnen geredet und ihnen erklärt, dass er ab sofort Schläge als Bestrafungsmethode in seiner Schule nicht mehr duldet. Sich daran zu halten, fiel ihnen anfangs nicht leicht und daraus mache ich auch niemandem einen Vorwurf, denn jedem ist klar, wie schwer es ist, ein Verhalten zu ändern, dass einem von klein auf (gewaltsam) eingebläut wird. Wie ich schon in einem früheren Artikel erwähnt habe, können wir mit Stolz sagen, dass seit November letzten Jahres kein Kind mehr von den Lehrerinnen geschlagen wurde, doch das hat uns nicht gereicht und so haben wir entschieden, über die Grenzen unseres Projektes hinaus zu gehen und an die Eltern heranzutreten. Sie sind schließlich die, die den größten Teil der Erziehung übernehmen und wenn sie die Maßnahmen der Lehrerschaft nicht vertreten, wird unser Handeln hier kaum Veränderungen bewirken.

 

Am 30. November des vergangenen Jahres haben wir deswegen einen Elternabend einberufen. Die Anwesenheitsquote war so hoch wie nie zuvor: statt wie sonst 12 oder 13 waren an diesem Tag über 40 Eltern oder sonstige Angehörige (ältere Schwestern, Großeltern, Onkels,…) anwesend, die unserem lange vorbereiteten Vortrag zuhörten. Patricia und ich hatten eine Rede vorbereitet, in der wir die Unterschiede der tansanischen Erziehungsmethoden mit den in Deutschland verbreiteten verglichen haben, die negativen (psychischen und physischen) Folgen von Gewalt in der kindlichen Erziehung beleuchteten und Alternativen, sowie deren Wirkung auf die kindliche Entwicklung vorgestellt haben. Wir waren überrascht, wie aufmerksam man uns zuhörte und auf wie viel positives Feedback wir zum Ende stießen. Ein Vater hat uns darin beigepflichtet, wie wichtig ein respektvoller Umgang mit den Kindern sei und hinzugefügt, dass man dafür bei sich selbst anfangen müsse. Wenn man also nicht will, dass Kinder böse Worte benutzen und einander beleidigen, dann darf man das ihnen gegenüber auch nicht tun. Eine Mutter fragte uns gezielt nach Erziehungstipps, die wir in verschiedenen Situationen vorschlagen würden, wenn ihr Sohn nicht auf sie hört und eine andere wollte von uns wissen, wie ihr Kind denn lernen soll, wenn man es nicht ab und zu schlägt, sobald es etwas falsch macht. Wir haben alle Fragen nach bestem Gewissen beantwortet und erklärt, dass Kinder nur dann gut lernen, wenn sie es ohne Angst und freiwillig tun können und zum Abschluss haben die Eltern uns mit einem Applaus verabschiedet und viele haben gesagt, sie würden versuchen, unsere Tipps umzusetzen.

 

Nun sind über drei Monate vergangen, in denen sich in Faraja viel verändert hat. Letzte Woche erst hat uns ein Student aus dem Norden des Landes, der bei uns eine Art Praktikum gemacht hat, gesagt, dass er noch nie so glückliche Kinder in einer Vorschule gesehen habe und man spüren könne, dass die Schüler mit Freude zu uns kommen. Wir wollten wissen, ob davon auch etwas in den Familien ankommt und haben deswegen letzten Freitag einen weiteren Elternabend zu diesem Thema veranstaltet. Da viele neue Eltern von Kindern da waren, die erst seit diesem Jahr bei uns angemeldet sind, haben wir noch einmal die Inhalte des ersten Elternabends zusammengefasst und erläutert, was wir seitdem für Veränderungen wahrgenommen haben: friedlichere Kinder, höflichere Umgangsformen, mehr Zuneigung den Schülern gegenüber und die Einsicht von vielen, dass Gewalt schlecht ist. Danach haben wir die Eltern gebeten, ihre Meinungen kundzutun und mit allen zu teilen, welche Veränderungen sie wahrgenommen haben und tatsächlich meldeten sich nach einer Weile zwei Mütter, die erzählten, dass sie ihre Kinder nun nicht mehr schlagen und sie seitdem das Gefühl hätten, die Kleinen würden in der Schule besser lernen und auch zu Hause anfangen, zu verstehen, was sie teilweise falsch machen, ohne dass dafür Schläge notwendig wären.

 

Das zu hören, hat uns total gefreut und wir haben versucht, die Eltern weiter dazu anzuhalten, ihren Nachwuchs gewaltfrei zu erziehen. Kopfnicken von allen Seiten zeigte uns, dass man dazu durchaus bereit sei. Ich habe daraufhin erklärt, dass diese ganzen Umstellungen auch den Lehrern nicht leicht gefallen seien und wir zur besseren Weiterentwicklung der Erziehungs- und Lehrmethoden in Faraja nun wöchentliche Lehrertreffen abhalten würden, bei denen die Ereignisse der vergangenen Woche reflektiert werden sollen und man Lösungen für aufkommende Probleme finden möchte. Auch die Eltern haben wir dazu eingeladen, an diesen Treffen teilzunehmen, wenn aus unserer Sicht die Notwendigkeit zu einem Gespräch besteht, oder sie Hilfe in Erziehungsfragen brauchen. Nachdem das alles wiederum sehr positiv aufgenommen worden ist, habe ich in die Runde gefragt, wo man denn momentan noch Schwierigkeiten sehen würde, die eine gewaltfreie Erziehung behindern.

 

Zunächst wollte niemand wirklich etwas sagen, aber schließlich traute sich eine Frau, das Schweigen zu brechen und sagte, sie würde ja zu Hause versuchen, sich an unsere Worte zu halten und sähe auch schon Veränderungen, aber wenn ihr Mann nach Hause kommt, dann sei es nicht selten, dass er seinen Frust in Schlägen an den Kindern auslassen würde. Es kamen so viele zustimmende Kommentare aus allen Richtungen, dass für uns nun klar ist, welche Baustelle wir als nächstes angehen.

 

 

Nur wenn die Lehrer und beide Eltern eines Kindes in Sachen Erziehung am gleichen Strang ziehen, können wir wirklich eine Veränderung erzielen, also gilt es nun im nächsten Schritt, die Väter mehr mit einzubeziehen, die sich in den meisten Fällen aus allem, was ihre Kinder und deren Schulbildung angeht, raushalten. Bei solchen Elternabenden sind über 90% der Anwesenden weiblich und das möchten wir langfristig ändern. 

 

 

 

Wie sich das alles weiterentwickelt, werde ich in einem weiteren Artikel im Laufe der nächsten Monate festhalten. Nun treffen wir erst einmal alle nötigen Vorbereitungen für den 10. April, denn das wird der Tag, an dem wir feierlich die Krankenversicherungskarten an unsere Kinder überreichen werden. Dank der unglaublichen Unterstützung so vieler Menschen haben wir unser Spendenziel nämlich längst erreicht und konnten letzte Woche endlich den Registrierungsprozess abschließen!!!