Religionen und Stämme in Tansania

Jedes Mal, wenn ich hier eine neue Person kennenlerne, läuft das erste Gespräch ziemlich ähnlich ab: Viele aufeinanderfolgende Fragen, die ich mittlerweile alle auf Swahili beantworten kann. Zuerst natürlich, wie ich heiße (schon mal die erste Hürde, denn meinen Namen kann hier niemand aussprechen, weswegen mich die meisten entweder Jos oder Juicy nennen), dann woher ich komme, wie lang ich bleibe und was ich hier mache. Anschließend fragen einige, ob ich verheiratet bin und wie viele Kinder ich schon habe, aber spätestens danach folgt die Frage, welcher Religion ich angehöre. Meine Antwort bringt das Gespräch sehr häufig sofort zum Erliegen, wie ich inzwischen festgestellt habe!

 

 

 

Die Erklärung dieses Umstandes bedarf einiger geschichtlicher Fakten: In Tansania leben etwa gleich viele Christen wie Muslime, zusätzlich gibt es im ganzen Land allerdings noch über 120 verschiedene Stammesgruppen (der wohl bekanntesten gehören die Massai an), die sich bis in die sechziger Jahre in zahllosen Auseinandersetzungen gegenseitig bekriegten. Julius Nyerere – tansanischer Präsident von 1964 bis 1985 – war der erste Präsident, der ein allgemeines Nationalgefühl durchsetzen konnte, das jeden Bürger des Landes verstehen ließ, dass vor jeglicher Religions- oder Stammeszugehörigkeit die Zugehörigkeit zum eigenen Land steht. Er beendete damit sämtliche innerstaatlichen Kriegstaten und bis heute blieb Tansania dadurch von Bürgerkriegen verschont. Nyerere wird deswegen hierzulande sehr verehrt und als „Baba wa taifa“ (Vater der Nation) bezeichnet. Jeder, dem ich bisher begegnet bin und mit dem ich über Nyerere gesprochen habe, konnte mir versichern, wie stolz das ganze Land auf diesen Mann ist und was man ihm hier alles zu verdanken habe.

 

Seit den Sechzigern also leben Muslime, Christen, Angehörige anderer Religionen und verschiedene Stämme friedlich miteinander, was ich persönlich sehr beeindruckend finde. Es ist für Muslime kein Problem, Christen zu heiraten und auch die Stammeszugehörigkeit spielt im Alltag keine Rolle. Was jedoch so gut wie alle Tansanier gemein haben, ist die Tatsache, dass Religion im privaten Leben eine sehr große Rolle spielt. Wenn ich nun also gefragt werde, welcher Religion ich angehöre, dann ist es egal, welche Religion ich nenne, da es mein ganz persönliches Recht ist, zu glauben, an wen ich will. Da ich allerdings wahrheitsgetreu jedes Mal antworte, dass ich Atheistin bin, bekomme ich quasi täglich verständnislose oder sogar abwertende Blicke und es ist schon mehr als einmal passiert, dass das Gespräch damit beendet war. Nur wenige hinterfragen meine Antwort und wollen wirklich wissen, wie ich leben kann, ohne an irgendeinen Gott zu glauben. Einige wissen bereits von anderen Europäern, dass das in deren Herkunftsländern relativ verbreitet ist, aber finden es trotzdem sehr seltsam und selbst einige jüngere Tansanier, mit denen ich darüber gesprochen habe und die selbst nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen, oder mehrmals täglich beten, sind der Meinung, dass man trotzdem seinen eigenen Glauben in irgendeiner Form für sich ausführen sollte. Sie tolerieren jedoch ganz selbstverständlich, dass ich das nicht tue.

 

Fazit: Es ist unglaublich, zu sehen, wie friedlich so viele verschiedene Glaubens- und Stammesgruppen innerhalb eines Landes miteinander leben können, aber wenn man gar keiner davon angehört, kann man sich in der Gegenwart bestimmter Leute leicht ausgeschlossen fühlen.

 

Bilder: zweitälteste Kirche in ganz Ostafrika, Bagamoyo